Schönheit 3.0 – „Faltenfrei“

Gedanken von Dr. Klaus Hoffmann

In einer Zeit, in der Menschen auf der Bank keine Zinsen mehr für ihr Geld bekommen, entsteht etwas, was die Ökonomen eine „Konsumgesellschaft“ nennen. Man gönnt sich etwas. Dies gilt insbesondere auch für die Gesundheit und das persönliche Erscheinungsbild. Wo denn besser, wenn nicht in den eigenen Körper, will man Geld investieren? Das dies nicht nur seriöse Anbieter, sondern auch Scharlatane auf den Plan ruft, ist in unserer Zeit (leider) schon fast selbstverständlich. Es gab nur einen kurzen Aufschrei als bekannt wurde, dass Heilpraktiker auch schwerstkranke Krebspatienten mit obskuren „Mittelchen“ behandelt haben. Die Ärzteschaft lief Sturm, die Politik ging jedoch schon bald wieder zur Tagesordnung über. Spätestens hier wird klar, wie ungeregelt dieser Markt ist und wie gefährdet man sein kann, wenn man sich nicht ordentlich informiert.

Doch guter Rat ist nicht teuer sondern eigentlich gar nicht erhältlich. Schaut man sich eine der schnellsten wachsenden Branchen in der Medizin, die Schönheitschirurgie, an, wird man mit einer unglaublich verzerrten Wirklichkeit konfrontiert. In Gutscheinportalen werden Operationen ohne Beratung verkauft. In Facebook Foren unterbietet man sich mit Preisen für das Unterspritzen von Lippen, wobei niemand fragt, welche Qualifikation die Behandler haben oder welche Gerätschaften und/oder Materialien eingesetzt werden. In einem Land in dem man eine Holzsammelgenehmigung für den Wald braucht, ist in diesem Teilbereich der Medizin „Wild West“ angesagt: Jeder darf alles! Dabei sei bemerkt, dass auch bei Ärzten wohl die Erlangung eines einzelnen Facharzttitels, auch nicht und gerade im Bereich der Schönheitsmedizin, erst recht nicht die Garantie für eine allumfassende Qualifikation ist.

Natürlich wird sich der- oder diejenige, die für eine Schönheitsbehandlung oder Operation selber bezahlt, nicht von einem Assistenzarzt in der Ausbildung als Übungsobjekt missbrauchen lassen. Die ewig wiederholte Geschichte, man habe es in einer mehrjährigen Facharztausbildung gelernt, überzeugt daher wenig. Richtig ist aber, dass Ärzte die derartige Behandlungen durchführen, aufgrund eines abgeschlossenen Medizinstudiums über eine grundlegende biologische, physiologische, aber auch insbesondere anatomische Ausbildung verfügen. Außerdem verfügen sie über Medikamente mit denen man im Zweifelsfall bei allergischen Reaktionen oder anderen Zwischenfällen helfen kann. Spätestens hier ist unklar, warum der Gesetzgeber nicht regulierend in diesen Boom-Markt eingreift.

Ist es im Übrigen nicht auch wichtig immer auch alle denkbaren Alternativen in einem Aufklärungsgespräch zu erörtern? Bei Fillern wären dies Laser, Radiofrequenz, OP, Botox, Tixel usw. Man kann die Problematik an den Fillern, die heute zur Auffüllung von Volumendefekten im Gesicht oder zum Lippen aufspritzen genutzt werden, besonders gut erklären. Vor zwei Jahrzehnten begann die Fillerära mit Collagenunterspritzungen. Das Collagen hatte jedoch das Problem, dass es häufig allergische Reaktionen auslöste. Als Ersatz war schnell die Hyaluronsäure, die Grundsubstanz der menschlichen Haut, gefunden.

Diese wurde zunächst aus Hahnenkämmen, später dann aus Fermentierungsprozessen, unter Hilfe von Bakterien, gewonnen. Hyaluronsäure hat einen besonderen Vorteil gegenüber anderen Füllmaterialien. Hyaluronsäure speichert Wasser. Dadurch wird die Hydratation, das heißt die Durchwässerung des Fettgewebes verbessert. Man nimmt an, dass dies sogar gewisse „Verjüngungseffekte“ haben könnte. Hyaluronsäure wird darüber hinaus in vielen anderen Bereichen in der Medizin schon lange positiv mit gutem Erfolg eingesetzt: Der Orthopäde spritzt es ins Knie um die „Schmiere“ zu verbessern und der Dermatologe mixt es in Cremes um die Durchfeuchtung der obersten Hautschicht, der Hornschicht, zu verbessern. Es ist allerdings so, dass die Hyaluronsäuren die tatsächlich füllen so große Molekülgrößen haben, dass man sie spritzen, also mit der Nadel einbringen muss. Gerade die großen Firmen haben dabei so viele Tricks und Kniffe das Material geschmeidig zu machen, ihm aber trotzdem eine große Hebekraft und Langlebigkeit zu geben, dass die Auswahl bei den Spitzenpräparaten bisweilen schwer fällt. Es gilt: Es gibt nicht das eine Spitzenpräparat, aber es gibt massive Qualitätsunterschiede zwischen „hochwertig“ und „billigem Ramsch“, wie es in vielen anderen Bereichen der ästhetischen und kosmetischen Therapie auch.

In Europa gibt es einige hundert Sorten und Markenanbieter, die Hyaluronsäurefiller zur Injektion anbieten. In den Vereinigen Staaten nicht mal einen Bruchteil davon. Die Begründung ist einfach: In den Vereinigten Staaten muss man Studien und Prüfungsunterlagen vorlegen, bevor man ein derartiges Produkt vertreiben kann, die einer Arzneimittelzulassung ähnlich sind. In Europa kann man fast ungeprüft sehr viel, auch Dinge die zweifelhaft erscheinen, in den Markt bringen. Der Verbraucher weiß nur nicht was gut ist oder nicht gut ist. Natürlich entscheidet der Reinheitsgrad eines derartigen Präparates darüber, ob Nebenwirkungen auftreten oder nicht. Nimmt man sich das Beispiel Gold, ist einfach zu verstehen, dass man Gold nicht komplett „rein“ gleich „sauber“ bekommen kann. 999 Anteile Gold und 1 Anteil Fremdstoffe, das ist eine hohe Reinheitsstufe, das versteht jeder. Derartige Reinheitsstufen werden bei vielen Fillermaterialien und erst recht bei Fadenmaterialien, die ja ebenfalls in Gesichter gezogen werden, leider häufig nicht erreicht. Die Qualitätsunterschiede derartiger Produkte sind so immens groß, dass sie selbst für den Fachmann nur schwer zu überblicken sind. Nahezu tagtäglich schießen wie Pilze Kleinstanbieter mit völlig neuen und angeblich speziellen Produkten und Phantasieversprechen auf dem Markt hoch, die dann gierig von umherziehenden Therapeuten, zum Teil unter bedenklichen hygienischen Bedingungen, in nicht medizinischen Einrichtungen gespritzt werden.

Bei Nebenwirkungen tritt im Zweifel die Solidargemeinschaft über die Krankenversicherung mit ein, um die entstehenden Probleme wieder in Ordnung zu bringen. Das eine hohe Ausreinigung unabdingbar ist, ähnlich wie beim Gold, die ja vor Nebenwirkungen schützt, weil weniger Fremdmaterial im Filler ist, ist klar. Aber in einer Gesellschaft, bei der „Geiz ist geil“ zum Lebensmotto geworden ist, werden Menschen unvorsichtig. Unter dem Druck des allgemeinen Schönheitswahns lässt man sich alles und jedes von irgendeinem Billigheimer oder einer Franchisekette ins Gesicht injizieren. Die Folgen sind teils katastrophal. Ein guter Injektor, der mindestens einmal im Jahr an einem Anatomiekurs teilnimmt, und der erstklassige Materialien verwendet, wird dem Patienten einen Filler pro ml kaum unter 350,- Euro anbieten können.

Sobald es billiger wird, muss sich der Verbraucher fragen, wie das denn geht. Wurde hier an der Ausbildung des Injektors gespart? Beim Material? Bei der Hygiene? Das Leben lehrt, dass niemand etwas zu verschenken hat. Die Gefahren derartiger Behandlungen sind nicht zu unterschätzen und die Skrupellosigkeit von einigen Anbietern ebenfalls nicht.

Hyaluronsäure hat den großen Vorteil, dass man sie wieder auflösen kann. Das heißt man kann ein Enzym, was Hyaluronidase heißt, hinterher spritzen und das Material löst sich wieder. Eine Verona Pooth hätte mit so einer Behandlung, mit hoher Wahrscheinlichkeit, von einer angeblich von einem „Nichtarzt“, zu dick (zu viel) gespritzten Lippe unschwer befreit werden können. Warum dies nicht geschehen ist, lässt viel Raum für Spekulationen, die möglicherweise wohl eher in Richtung von Marketinginteressen gehen.

Eine kurze Umfrage bei Anbietern von Unterspritzungen ergab, dass viele noch nicht einmal wissen, was Hyaluronidase ist. Das heißt, das zum Auflösen im Zweifelsfall auch rettende Enzym ist nicht mal vorrätig. Eine Katastrophe! Denn injiziert man einen Filler in ein Gefäß, wird dies geblockt und es kann zu schwersten Schäden kommen. Gerade deswegen bevorzugen viele Injektoren auch gerade Hyaluronsäure, da man diese eben im Zweifel zu mindestens versuchen kann wieder aus dem Gefäß herauszubekommen.

Wenn man aber noch nicht einmal weiß, dass es so etwas gibt oder wenn man, weil man sich nicht bevorratet hat oder es Lieferengpässe gibt, so etwas gar nicht im Kühlschrank hat, dürfte man eigentlich gar nicht behandeln. Dies stört aber viele nicht und es wird fröhlich drauflos gespritzt. Die Ärzteschaft fordert schon seit langem eine klare Regelung für Nichtärzte zu schaffen, was diese denn nun tatsächlich dürfen.

Was darf der Heilpraktiker, die Kosmetikerin und viele andere. Derzeit muss man zur Kenntnis nehmen, dass die Regelungen unzureichend sind, es viele schwarze Schafe gibt und man derzeit eher von einer Behandlung bei nicht Ärzten abraten muss, solange es keine ausreichend gute gesetzliche Regelung gibt, die Scharlatanerie ausschließt. Qualifikation ist notwendig gehen Sie nur zu namentlich bekannten Ärzten und Ärztinnen, zu keiner anderen Berufsgruppe und auch nicht zu anonymen Stellen wo Sie nicht wer Sie behandelt. Der Gesetzgeber ist am Zug und man kann nur hoffen, dass er dies auch möglichst bald durch Maßnahmen, die die Bevölkerung schützen, regelt.

Ihr Dr. Klaus Hoffmann